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Blog Phillip 1

Teil VII - "Mapuche"

Suzan

Ich bin im Norden Patagoniens im Nationalpark Lanín unterwegs. Dort habe ich mein Zelt auf einem Campingplatz am See „Huechulafquen“ aufgeschlagen. Die Nächte sind kalt, die Tage heiß. Tagsüber ist es aber nicht zu heiß, um Wandern zu gehen. Zumal die Landschaft durch wunderschöne Berglandschaften geprägt ist und es beim Bergaufgehen immer etwas kühler wird. Der Nationalpark hat seinen Namen vom inaktiven Vulkan Lanín — Ein über 3.000 Meter hoher, kegelförmiger Berg mit schneebedecktem Gipfel. 

Gerade komme ich von einer Wanderung auf das Base-Camp, von dem aus der Vulkan bestiegen werden kann. Dort oben hatte ich eine wunderschöne Aussicht auf den Vulkan. Ich steige in meinen Leihwagen, der sicher nicht auf die hier herrschenden Straßenverhältnisse hin entwickelt wurde, sich aber bis dato gut schlägt. Mein Magen meldet sich, ich spüre Hunger. Nach ein paar Kilometer sehe ich ein hölzernes Schild am Straßenrand, auf dem steht „Pan Casero“ (Hausgemachtes Brot). Mein Interesse ist geweckt. Einerseits wegen meinem grummelnden Magen, andererseits aufgrund der Tatsache, dass ich „echtes“ Brot vermisse. Bislang fand ich nur krümeliges Weißbrot auf meiner Reise. 

Ich lasse also den Wagen am Straßenrand stehen und steige aus. Vor der Pforte des abfälligen, umzäunten Geländes liegen drei Hunde faul in der Sonne. Ich folge dem gepflasterten Weg den Hang hinunter und gelange zu einer Hütte. Als ich eintrete, ist niemand da. Der Raum wird bis zur Hälfte durch eine Mauer geteilt. Auf Seiten der Eingangstür stehen drei Holztische mit Stühlen, auf der anderen Seite ist eine Küche zu erkennen. Zwischenzeitlich bin ich schon daran gewöhnt, dass man erstmal niemanden antrifft und ich schau mich um. Die Wände sind mit betagten Postern behangen, die  seinerzeit indigene Kulturveranstaltungen bewerben sollten. Außerdem sehe ich eine mir unbekannte Fahne. 

Und während ich so die Wände begutachte, grüßt mich eine Frauenstimme. Ich drehe mich um und sehe eine betagte Dame mit dunklen Augen, welche mir — etwas übertrieben formuliert — bis zum Bauchnabel reicht. Ich grüße zurück und komme gleich zum Punkt: „Ich habe Hunger“. Die Frau erklärt mir, was sie mir alles anbieten kann, doch ich verstehe nur eine Sache davon. Sie spricht dabei so geruhsam, dass es meine Geduld herausfordert. Ich bestelle das, was ich kenne und davon ein halbes Dutzend: „Tortas Fritas“. Das sind im Öl gebackene Teigfladen, die etwas süßlich schmecken. Man bekommt sie hier an jeder Ecke. Ich setze mich an den Tisch direkt am Eingang und hole mein Handy raus. Doch Empfang, geschweige denn mobiles Internet gibt es hier nicht. Also begutachte ich weiter den Wandschmuck. Dabei fängt es an nach frittiertem Teig zu riechen.

Nach einigen Minuten kommt die betagte Dame mit einem kleinen Tablett und bringt mir mein Gebäck. Sie grinst mich an und fragt mich, woher ich komme. Ein leichtes Lächeln erhellt ihr Gesicht, als ich ihr sage, dass ich aus Deutschland bin. Eigentlich möchte ich nach der Fahne an der Wand fragen, aber ich fühle mich unsicher und der Hunger wiegt erst mal schwerer. Als ich dann die heißen Küchlein esse, ärgere ich mich etwas nicht gefragt zu haben. 





Als die ältere Dame dann zurückkommt, um meinen Tisch abzuräumen — Ich blieb sitzen nach dem Essen, schließlich hatte ich mir etwas vorgenommen — fasse ich mir ein Herz und verhaspele mich natürlich direkt. Doch dann schaffe ich es, mich verständlich zu machen: „Ich finde die Fahne interessant, ob ich sie fragen dürfe, was sie bedeutet“, versuche ich möglichst höflich zu formulieren. Die Reaktion ihrer Gesichtszüge gibt mir Sicherheit, denn es scheint sie nicht zu stören, dass ich frage. Mir scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Wie in einer Ausstellung stehen wir vor der Wand und sie weist mit ihrem Zeigefinger. 

„Das ist die Fahne der Mapuche“, erklärt mir die Dame und mittlerweile finde ich die Ruhe, ihrem langsamen Sprechen aufmerksam zu folgen. Das Schwarz stehe für den Schmerz, den ihr Volk erlitten hat und bis heute leidet. Das Rot stehe für das im Rahmen der Kolonialisierung vergossene Blut. Das Blau stehe für die Seen und das Wasser. Und das Grün stehe für die Bäume und Pflanzen. Der gelbe Kreis in der Mitte stellt die Sonne dar und steht stellvertretend für „Madre Tierra“ (Mutter Erde). Mond und Stern übergeht meine Gesprächspartnerin, aber sie erzählt über den Kreis mit vier geschwungene Linien an den Seiten. Dabei handele es sich um ein spezielles Musik-Instrument der Mapuche, welches stellvertretend für das Ziel stehe, die eigene Kultur zu leben und zu erhalten. 

Nach ihren Ausführungen zur Fahne, sage ich, dass ich mir vorstellen kann, dass es nicht einfach ist, die Kultur zu erhalten in unserer modernen Welt und gebe zum Besten, dass das ja in Deutschland mit dem Brauchtum ähnlich sei. Es sei schwer, junge Menschen für Traditionen zu begeistern, sage ich ihr und komme mir etwas doof vor bei dem Vergleich. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, merke ich schnell, denn die Dame kann anschließen. Die Jugend möchte die Traditionen oft nicht weiterleben, erklärt sie mir im Anschluss. „Sie möchten in die Stadt und das Leben der Weißen leben. Nicht wenige schämen sich sogar für ihre Herkunft.” 

Das erinnert mich an die schwarzen Streifen auf der Fahne und ich frage, was es mit dem Schmerz der Mapuche auf sich hat. Sie erklärt mir, die Kolonialisierung sei mit vielen Toten einhergegangen, doch das Leid endet bis heute nicht. Vielerorts kamen und kommen bis heute Weiße und beanspruchen das Land, auf welchem die Mapuche Jahrhunderte lebten. So seien sie oft vertrieben worden, doch heute gäbe es Mapuche, die sich auch mit Recht und Gesetzen auskennen und man kämpfe. 

Das sind viele Informationen und tiefgreifende Eindrücke für mich. Etwas schwermütig verabschiede mich und trete den Weg zurück zu meinem Wagen an. Beim Fahren erinnere ich mich dann an ein Gespräch, das ich mit einem argentinischen Freund über die Mapuche hatte. Er hat unschön über sie gesprochen und so kannte ich ihn bis dato auch gar nicht. Und nachvollziehen kann ich das, was er gesagt hat, nun schon zweimal nicht. Viel eher drängt sich mir der Gedanke auf, dass wir heute gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise gut daran tun würden, die Natur wie eine Mutter zu lieben. Und es wird mir deutlich, dass es in Argentinien noch einen Weg zu gehen gilt, um die Einheit in der Vielfalt zu erreichen. Und wieder einmal erwische ich mich dabei, wie ich stolz bin auf meine Arbeit bei der Bürgerstiftung. Schließlich war es mein Job, unterschiedliche Menschen zusammen und in den Austausch zu bringen. Das scheint mir gerade auch mit Blick auf Stuttgart eine wichtige Aufgabe.