TEIL VIII - "Los Atacameños und das Lithium"
Suzan
Zwischenzeitlich bin ich in Chile unterwegs – und zwar nicht irgendwo in Chile, sondern in der trockensten Wüste der Welt: Der Atacama. Generell ist die Atacama eine beeindruckende Gegend. Die Wüste liegt auf über 3.000 Höhenmetern, wobei sie von Vulkangipfeln von teils über 6.000 Höhenmetern umsäumt wird. Es gibt Täler, die stark an Mondlandschaften erinnern, Berge, die aufgrund farbiger Sedimente an Regenbogen erinnern und fast überall sieht man Guanacos und Vicuñas. Darüber hinaus gibt es Geysire, noch und nicht mehr aktive Vulkane und die Nächte sind so dunkel, dass die Atacama der perfekte Ort für Weltraumforschung via Teleskope ist.
Ich habe einen Mietwagen und bin auf dem Weg zum Salar de Atacama, eine große Salzwüste, die u.a. Flamencos einen einzigartigen Lebensraum bietet und neben dem ein landschaftlich wunderschönes Bild erzeugt. Gleichzeitig ist der Salar de Atacama eines der weltgrößten Abbaugebiete von Lithium, welches bekanntermaßen ein zentraler Rohstoff im Kontext der Energiewende bzw. im Konkreten in Zusammenhang mit der Elektromobilität ist. Der Abbau erfordert hohe Mengen an Wasser. Und das, wie oben erwähnt, an einem der trockensten Orte der Erde. Unnötig zu erwähnen, dass Natur und Mensch vor Ort negativ beeinflusst werden – und das nicht nur wegen des Wassers.
Im Leihwagen läuft der Radiosender, der voreingestellt war. Er spielt Musik mit Panflöten und Gesang, dessen Erzählungen ich nicht verstehe, weil er definitiv nicht in Spanisch ist. Die Musik passt für mein Empfinden aber super zur Landschaft. Zu jeder vollen Stunde wird jedoch Spanisch gesprochen und ich bin in der Lage, etwas zu verstehen. Und zwar laufen dann im “Radio Origines Lickanantay” nicht wie von Dir vielleicht jetzt erwartet Nachrichten, sondern es werden Artikel aus einer Konvention vorgelesen. Zum Beispiel, “Artikel 15: … Die Rechte der betreffenden Völker an den natürlichen Ressourcen ihres Landes sind besonders zu schützen. Diese Rechte schließen das Recht dieser Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen. …”
Und vielleicht geht es Dir nun wie mir seinerzeit und Du verstehst erstmal nur “Bahnhof”. Die nachfolgenden Ergebnisse meiner Recherche sollten dir aber helfen, die Informationen einzuordnen. Jedenfalls bin ich froh, dass ich mich am Abend nach meinem Besuch des Salars etwas schlau gemacht habe, denn es half mir, spätere Gespräche besser einzuordnen und letzten Endes die lokalen Konflikte rund um den Lithiumabbau in der Atacama besser nachzuvollziehen. Denn darum soll es im vorliegenden Artikel im engeren Sinne gehen. Doch nur der Reihe nach...
Licán Antai ist die Selbstbezeichnung und Oberbegriff für die unterschiedlichen indigenen Gemeinden in der Atacama. Man kann sie spanisch auch Atacameños nennen. Die oben angesprochene Konvention heißt: “Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern” und wurde von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erarbeitet. Die Konvention aus dem Jahre 1989 verankert das Recht indigener Völker auf territoriale Selbstbestimmung im internationalen Recht. Chile hat das Abkommen 2008 unterzeichnet und in national verbindliches Regelwerk überführt. Infoblock ende…
Am nächsten Morgen treffe ich Tom, den Vermieter meiner Unterkunft. Er hat selbst indigene Wurzeln und hat mir bei meiner Ankunft unglaublich herzlich erklärt, was es alles in der Atacama zu entdecken gibt. Ich fasse mir ein Herz und spreche ihn auf meine kleine Recherche zu den Rechten der Atacameños an. Ich frage ihn, ob das die indigenen Gemeinden nicht zu einem unumgänglichen Partner für die Lithium abbauenden Unternehmen macht. Und tatsächlich habe ich “ins Schwarze getroffen”. In der Folge erklärt er mir zunächst, dass alle Natur-Attraktionen der Atacama im Reservat “Los Flamencos” zusammengefasst sind und die jeweiligen indigenen Gemeinden einen naturverträglichen Tourismus sicherstellen. Tatsächlich erinnere ich mich, dass die Einlasse aller meiner bisherigen Besuche von Indigenen gemanagt wurden. Mit Blick auf den Lithiumabbau sagt Tom mir, dass es tatsächlich ein Abkommen zwischen den abbauenden Unternehmen (davon gibt es nur zwei, eines davon ist US-amerikanisch, das andere chilenisch) und den indigenen Gemeinden gibt, welches die Gemeinden finanziell an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt. “So, oder so, würden sie das Lithium abbauen und verkaufen. Ich halte es für besser, wenn die Gemeinden finanziell beteiligt werden und das Geld an anderer Stelle im Sinne der Entwicklungen der Gemeinden und den Naturschutz eingesetzt werden kann”, sagt er weiter. Außerdem erzählt er mir von Gruppen, die anderer Meinung sind und den Abbau vehement ablehnen und hierfür auch auf die Straße gehen, bzw. eben jene als Protest sperren.
Das Ganze klingt in meinen Ohren wie ein nachvollziehbarer Kompromiss, ein Ausgleich zwischen den bestehenden Interessen. Gleichwohl sehe ich mich unter dem Eindruck der Schönheit des Salars und der Atacama zwischenzeitlich außer Stande zu bewerten, was schwerer wiegt: Das lokale Ökosystem oder eine Transformation in Richtung nachhaltiger Mobilität. Zuvor hätte ich sicherlich Zweiteres mehr Gewicht zugemessen.
Wiederum am nächsten Morgen werde ich sehr früh von meinem Guide Juan Pablo abgeholt. Er wird mich heute auf den “Toco” führen, einen inaktiven Vulkan, dessen Gipfel auf 5.604 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Auf der Fahrt zum Startpunkt unseres Aufstiegs konfrontiere ich ihn mit dem Gespräch, das ich mit Tom hatte. Und überraschenderweise nimmt er einen ganz andere Perspektive auf das Thema ein. Er schildert mir, dass seiner Meinung nach der Abbau von Lithium sofort gestoppt werden sollte. Das Abkommen zwischen den indigenen Gemeinden und den Bergbauunternehmen korrumpiere die indigene Bevölkerung. “Die haben dadurch so viel Geld, dass sie nicht mehr arbeiten müssen. Und das Geld wird auch weder im Sinne der Entwicklung der Gemeinden, noch der Natur eingesetzt. Viele hocken schon mittags in den Kneipen und saufen”, sagt er mir. Als wir später den Gipfel erreichen, kniet Juan Pablo vor dem dort befindlichen Steinhaufen nieder und hängt eine Kette um das Gipfelkreuz. Für Pachamama, erklärt er mir später. Merkwürdig, denn Juan Pablo ist ganz offensichtlich europäischer Abstammung.
Das alles macht die ganze Angelegenheit für mich schlussendlich zwar besser nachvollziehbar, aber zu einer abschließenden Meinung komme ich nicht. Nur einem Gedanken kann ich mich nicht erwehren: Die indigenen Gemeinden und deren Menschen sind sicher in sich und zwischen sich super unterschiedlich, wie das überall in Gemeinschaften auf der Welt ist. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich ein sehr romantisches, einheitliches Bild hatte, von den Indigenen, die die Natur schützen. Und mit Blick auf Deutschland denke ich mir, dass es wohl viele Gruppen gibt, die ich ohne Weiteres in Schubladen stecke. Ich nehme mir vor, Mut, Motivation und Geduld zur Differenzierung aufzubringen. Dann sollte es für mich wohl noch viel zu lernen geben – auf dieser Reise und in Deutschland.
* Übereinkommen 169 - Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, 1989, ILO.