Teil III - Día de Limpieza
Suzan
Ich gehe an schier endlosen Stränden entlang. Meine Füße tragen mich immer weiter in Richtung Süden. Die Wellen rauschen in Richtung Strand und laufen sich in immer neuen Rundungen und mit weißem Saum aus. Bis auf einen Pferdewagen mit zwei freundlichen, braun gebrannten Uruguayos sowie hie und da mal Möwen und andere – mir unbekannte – Vögel ist mir, seit ich das Städtchen Punta del Diablo am Morgen verließ, nichts und niemand über den Weg gelaufen.
In Punta del Diablo habe ich als letztes eine abgelegene Villa mit Leuchtturm gesehen. Seinerzeit hatten sich dort Vertreter des argentinischen Führungskaders der Militärjunta getroffen. In den Sommermonaten ist es im Osten Uruguays wohl besser auszuhalten als in Buenos Aires. Von den lokalen Fischern ließen sie lebende Haie fangen. Die Tiere sollten dann vor besagter Villa in einem mit Meerwasser gefüllten Pool umher schwimmen, während sich die Herrschaften mit Champagner die Hucke vollsaufen. Zumindest schilderte mir Hugo, mein Vermieter der vergangenen Nacht, das so. Es war viel Wut in seiner Stimme.
Nachdem ich eine Woche bei einem Freund in Punta del Este verbracht habe, um etwas in Uruguay und in Südamerika anzukommen, juckte es mir in den Fingern. Oder in diesem Fall vielleicht besser: in den Zehen. Ich habe mir nämlich vorgenommen, 120 Kilometer von Punta del Diablo im Norden – immer an den Stränden entlang – nach Faro José Ignacio, weiter südlich gelegen, zu laufen. Währenddessen und im Nachhinein sollte sich herausstellen, dass das ein ungewöhnliches Abenteuer in den Augen der Locals ist..
Jedenfalls waren diese Tage so einsam, wie man sich das beim Lesen nun vielleicht vorstellt. Doch ein Zeichen menschlicher Zivilisation (oder unseres Mangels an Zivilisation), begegnete mir immer wieder: Plastikmüll. Große Mengen an Plastikflaschen, -tüten, Fischernetzen usw. sammeln sich offensichtlich auch an den Stränden dieses Teils der Welt. Auf 30 Kilometer Strecke sah ich an besagtem Tag fünf Müllfelder, welche augenscheinlich aufgrund der Topografie einerseits und dem Gezeitenwechsel andererseits im Zeitverlauf “entstehen”.
Ich war nicht sonderlich überrascht. Erwartet hatte ich das aber auch nicht – vielleicht naiv, ich weiß es nicht. Jedenfalls machte mich der Umstand, dass diese vermeintliche Abgeschiedenheit mit Müllfeldern konterkariert wird, immer wieder etwas traurig und nachdenklich – glaube ich doch zu wissen, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Am Abend traf ich in “Valizas” auf Ro. Er betreibt ein buntes, man könnte sagen, extravagantes Hostel in diesem Dörfchen am Meer, das mir ein Freund ein paar Tage zuvor bereits als “muy hippie” ankündigte. Die Hochsaison des Tourismus beginnt erst im Dezember, ich bin also der einzige Gast im Hostel “Lo do Ro” und so scheint Ro Zeit zu haben. Er wirkt auf mich so extravagant wie das Gebäude. Er ist groß und schlaksig, durchaus sportlich und trägt ein gelbes Shirt sowie eine breite, bunt-verspiegelte Sonnenbrille. Wir kommen ins Gespräch und ich frage ihn, wie er zu diesem Hostel kam.
Ro kommt eigentlich aus Montevideo, ist studierter Jurist und das Grundstück, auf dem heute sein Hostel steht, fiel ihm im Wege einer Erbschaft in den Schoß, denn den Verstorbenen kannte er, gemäß eigenen Angaben, gar nicht. Seinerzeit wusste er nicht, was anzufangen mit seinem Leben, sodass er – fragt mich nicht wie – auf die Idee kam, einen Campingplatz auf dem Grundstück zu eröffnen. Noch nie hatte er gecampt in seinem Leben, erzählte er mir und lachte dabei laut aus. Nach einiger Zeit begann er mit der Hilfe von Freiwilligen, die gegen Kost und Logie mit anpackten, ein Haus zu bauen. Über zehn Jahre ist das Haus nun im Bauprozess und man merkt, dass es “organisch” gewachsen ist und weiter wächst. Auch während meines Aufenthalts sind fünf junge Menschen als “Voluntarios” da und streichen, sägen, putzen, waschen usw.
Er fragt, was ich in Deutschland so treibe und ich erzähle von der Bürgerstiftung und versuche unsere Arbeitsweise anhand des Plaudertelefons zu verdeutlichen. Er hört mir so aufmerksam zu, dass ich das Gefühl bekomme, dass er in etwa versteht, was ich da versuche zum Ausdruck zu bringen. Ich erkläre, dass das Fundament unserer Arbeit das bürgerschaftliche Engagement ist, dass sich Menschen für etwas oder jemanden einsetzen, um die Welt vor Ort etwas lebenswerter zu machen – kein leichtes Unterfangen, nicht auf Spanisch und oft auch auf Deutsch nicht.
Er erzählte mir im Anschluss vom “Día de Limpieza”, den er zweimal jährlich organisiert. Ins Schwäbische übersetzt also “Kehrwoche”, bloß dass sie den Strand und nicht das Treppenhaus sauber machen. Über sein Netzwerk spricht er im Vorhinein viele Bekannte an und der Deal ist schnell erklärt: Die Freiwilligen kommen, packen mit an und erhalten im Gegenzug ein gemeinsames Abendessen mit anschließender Feier und gratis Übernachtung im Hostel. Ca. 20 Personen kommen regelmäßig und schwärmen dann – mit Mülltüten bewaffnet – aus, um die Dünen rundum Valizas von Müll zu befreien.
An verschiedenen Orten entlang des Strands werden die Mülltüten gesammelt und am frühen Abend von einem Traktor eingesammelt. Die Mülltüten und der Traktor (inkl. Fahrer) werden von der Verwaltung der Region gestellt, erklärt er mir weiter. Einige Säcke an Plastikmüll behält er und reinigt ihn. In den folgenden Wochen veranstaltet Ro dann einen Workshop in der örtlichen Grundschule. Er geht dann zunächst gemeinsam mit den Schüler:innen an den Strand und erklärt dort, was Plastikmüll in unseren Weltmeeren für Folgen hat. Im Anschluss werden Teile des gesammelten Plastikmülls zu Kunstprojekten verarbeitet. Die Kunst hat dann die Verschmutzung der Weltmeere zum Thema. “Noch wichtiger, wie das der Strand sauber gehalten wird, ist mir, dass die nachfolgende Generation versteht, warum es wichtig ist, unsere Meere vom Müll zu befreien und sauber zu halten”, sagt mir Ro mit ausnahmsweise recht ernstem Gesichtsausdruck.
Außerdem ist er in einem “Nachbarschaftsrat” aktiv, in welchem es darum geht Valizas in eine “gute” Zukunft zu führen. Ich stelle mir das vor, wie einen Bezirksbeirat, nur weniger formell. Er erzählt mir, dass in dem Gremium die Meinungen darüber, was eine gute Zukunft ist, oft weit auseinandergehen. So hatte eine seiner Initiativen, Valizas in Richtung Plastikfreiheit zu entwickeln, kürzlich keine hinreichende Unterstützung gefunden.
Nach unserem Gespräch laufen Ro und ich gemeinsam an den Strand. Er wird mich mit seinem Kayak über die Flussmündung bringen, die ich überqueren muss, um weiter in Richtung Cabo Polonio laufen zu können. Ich hatte zuvor keine Ahnung, dass ich über einen Fluss muss… Eine Fähre gibt es nicht. Zum Laufen ist die Mündung zu tief. Glück gehabt. Und wie wir so laufen, frage ich mich, ob ein “Kehrtag - Care-Tag” nicht auch eine Idee für Stuttgart und die Bürgerstiftung wäre…
Und nur wenige Tage später wird mir meine Mutter einen Artikel weiterleiten. Er behandelt eine UNO-Konferenz, die wenige Kilometer südlich im uruguayischen Punta del Este stattfindet. Dort kam ich zuvor bei einem Freund unter. Es ist die erste UNO-Konferenz für ein Abkommen gegen Plastikmüll. Ziel ist es, die Kunststoffverschmutzung im Meer und an Land bis zum Jahr 2040 einzudämmen1 .
Quellen
https://www.deutschlandfunk.de/erste-uno-konferenz-fuer-abkommen-gegen-plastikmuell-104.html